Wie «fair» wird Outdoorbekleidung produziert?

Das Thema «soziale Unternehmensverantwortung» ist in aller Munde. In der Outdoorbranche wird vor allem die schlechte Bezahlung der Textilarbeiter angeprangert. – Doch was hindert Unternehmen eigentlich daran, höhere Gehälter einzuführen?

Mila Hanke
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Arbeiterinnen in einer Kleiderfabrik in Huaxi. (Bild: Reuters)

Arbeiterinnen in einer Kleiderfabrik in Huaxi. (Bild: Reuters)

«Im Grunde arbeite ich gerne als Näherin», sagt Zhen Feng Yao. «Weil ich Mode mag.» Die 20-jährige Chinesin sitzt im Neonlicht in der Fabrikkantine, rührt in einer Schüssel Reis und blickt schüchtern hinter einer dicken schwarzen Haarsträhne hervor. Seit gut zwei Jahren arbeitet Zhen Feng bei KTC in der südchinesischen Provinz Guangdong. Die Firma fertigt Funktionsbekleidung für mehrere europäische Outdoormarken. «Seit ich hier bin, hat die Fabrikleitung die Löhne ein paarmal angehoben», sagt die junge Frau. «Aber ich weiss, dass das nicht überall in China so ist.» Ob sie das Wort «Existenzlohn» schon einmal gehört hat? Sie schüttelt verlegen den Kopf.

Überstunden

In der Bekleidungsindustrie gibt es zwei verschiedene Lohnforderungen: den Mindestlohn und den Existenzlohn. Der Mindestlohn wird von den jeweiligen nationalen oder regionalen Regierungen per Gesetz festgelegt. In den meisten Textilproduktionsländern – rund 60 Prozent der weltweit hergestellten Bekleidung kommen aus Asien – wird er jedoch bewusst niedrig gehalten. Denn geringe Lohnkosten sind ein wirtschaftlicher Standortvorteil.

So reicht der Mindestlohn in der Regel nicht aus, um die grundlegenden Lebenshaltungskosten der Arbeiter zu decken. Die Folge ist ein weiterer Missstand: Die Arbeiter leisten exzessive Überstunden – oft deutlich mehr als 75 Stunden pro Woche –, um ihr niedriges Gehalt aufzubessern.

Zwar haben Länder wie etwa China oder Bangladesh die gesetzlichen Mindestlöhne im letzten Jahr drastisch angehoben – wegen der hohen Inflationsraten reichen jedoch auch diese Gehälter oft nicht für die täglich notwendigen Ausgaben. Deshalb fordern Gewerkschaften und NGO von Fabrikanten und einkaufenden Marken, sich verantwortungsbewusst für eine existenzsichernde Bezahlung einzusetzen.

Allerdings: Was genau eine würdige Existenz ausmacht und wie man den genauen Geldbetrag für verschiedene Länder und Regionen bestimmen soll, das war und ist umstritten. «Viele Unternehmen haben sich jahrelang auf das Argument berufen, es gebe ja kein international anerkanntes Berechnungsmodell – wie sie da wissen sollten, wie viel überhaupt zu bezahlen sei», erklärt Margreet Vrieling von der Fair Wear Foundation, einer niederländischen Organisation, die sich weltweit für verbesserte Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie einsetzt.

Mittlerweile wurde diese Rechtfertigung jedoch durch zwei Initiativen entkräftet. Zum einen hat die Asia Floor Wage Alliance konkrete Existenzlöhne für verschiedene asiatische Länder berechnet. Zum anderen können Unternehmen mit der «wage ladder» der Fair Wear Foundation vergleichen, wie weit die Löhne in einer bestimmten Zulieferfabrik von der Armutsgrenze oder den Forderungen von NGO und Gewerkschaften entfernt sind.

Doch obwohl derlei konkrete Zielvorgaben mittlerweile vorhanden sind, hat die Branche Startschwierigkeiten. «Einige Outdoormarken wären durchaus bereit, höhere Einkaufspreise zu bezahlen, um existenzsichernde Löhne zu ermöglichen», betont Klaus Hohenegger, Geschäftsführer der Schweizer Firma Sourcing Solutions, die Unternehmen bei Einkaufs- und Nachhaltigkeitsstrategien berät. «Doch viele Unternehmen sind offenbar mit der Komplexität der Umsetzung überfordert.»

Hürden bei der Umsetzung

Grund dafür sind vor allem die Eigenheiten der Textilproduktionskette. Zum einen haben die meisten Produktionsfabriken nicht nur einen Kunden, sondern viele – und die nehmen das Thema «soziale Verantwortung» oft unterschiedlich ernst. Konkret heisst das: Wenn von zehn Outdoormarken, die in einer Fabrik Ware bestellen, nur zwei bereit sind, höhere Einkaufspreise zu zahlen und damit existenzsichernde Löhne zu unterstützen, kann und wird der Fabrikmanager nicht sein gesamtes Bezahlsystem umstellen. «Alle Kunden eines Herstellers müssten an einem Strang ziehen», so Hohenegger. «An dieser Zusammenarbeit mangelt es aber immer noch in der Branche.»

Aus Perspektive der Unternehmen steht einem Existenzlohn noch eine weitere Hürde im Wege: Wenn sie einen höheren Einkaufspreis zahlen, bedeutet das nicht automatisch, dass die Arbeiter höhere Löhne mit nach Hause nehmen. Denn: Eine Marke zahlt dem Hersteller für ein Produkt – etwa eine Wanderhose oder eine Funktionsjacke – einen ausgehandelten Stückpreis. Die Höhe der tatsächlichen Lohnkosten, die darin enthalten sind, kennt sie in der Regel nicht. «Wenn das Markenunternehmen also im Einkauf mehr bezahlt, muss sichergestellt sein, dass diese Beträge auch tatsächlich auf den Gehaltskonten der Arbeiter landen und nicht in der Tasche des Fabrikanten», so Margreet Vrieling. «Wenn kein langfristiges und vertrauensvolles Geschäftsverhältnis besteht, ist das nicht selbstverständlich.»

Umdenken gefordert

In der Debatte um die Einführung eines Existenzlohns ist natürlich auch eine weitere Frage entscheidend: Um wie viel Geld geht es überhaupt? Klaus Hohenegger hat das exemplarisch aus realen und neusten Daten einer thailändischen Fabrik berechnet – für ein funktionelles Lauf-T-Shirt, das im Laden 45 Euro kostet. «Würde eine Marke in dieser betreffenden Fabrik 29 Cent pro T-Shirt mehr bezahlen, würden die Arbeiter einen Existenzlohn nach -Kriterien verdienen», so Hohenegger.

Dieser Wert bezieht sich allerdings auf den Einkaufspreis, wenn das fertige T-Shirt die Fabrik verlässt. Bis ein Kleidungsstück im Geschäft hängt, wachsen anfängliche Cent-Beträge schnell auf mehrere Euro an – vor allem, weil Hersteller, Marke und Händler ihre weiteren Kosten und Gewinnmargen prozentual nach dem Einkaufspreis berechnen. «Deshalb zögern viele Outdoorunternehmen auch bei kleinen Kostenveränderungen am Anfang der Produktionskette so sehr», erklärt Margreet Vrieling. «Sie fürchten, durch höhere Endpreise Kunden zu verlieren.»

Klaus Hohenegger plädiert deshalb für ein grundlegendes Umdenken. «Die Branche sollte offen sein für alternative Kalkulationsmodelle, welche die bisher üblichen Aufschläge entlang der Textilkette reduzieren können.» Die Idee wird von den meisten Marken bis jetzt noch skeptisch beäugt. Christa Luginbühl, die Schweizer Koordinatorin der europäischen Clean Clothes Campaign, fordert dennoch Taten. «Es müssen sich Marken und Produzenten finden, die bewusst eine Vorreiterrolle einnehmen wollen», so Luginbühl. «Sie müssen einfach einmal mit Pilotprojekten anfangen und Erfahrungen sammeln. Sonst wird sich an der Lohnsituation in der Textilindustrie nichts ändern.»

In der Fabrik in Südchina ist die Mittagspause derweil zu Ende. Zhen Feng Yao und ihre Freundinnen machen sich auf den Weg zurück zu den Nähmaschinen. Auf dem Fabrikgelände kommen sie an einer Reihe abgestellter Mofas vorbei. «Ich hoffe, dass ich mir auch bald so eins leisten kann, ein rotes», sagt Zhen Feng. «Aber dafür muss ich noch ganz schön viele Jacken nähen.»

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